Exkurs Handlungsformen
Die Handlungsformen sind bestimmte Instrumente, welche der Verwaltung für das Verwaltungshandeln zur Verfügung stehen. Sie ergeben sich aus dem Verwaltungsrecht: Das Verwaltungshandeln wird über bestimmte Merkmale klassifiziert, von denen vielfältige rechtliche Aspekte abhängen (z. B. Folgen von Fehlern, Folgen der Rechtswidrigkeit, Zuständigkeitsfragen, Rechtschutz). Die Handlungsformenlehre ist die „normative“ Brille beim Zuschnitt von Prozessklassen/Leistungsverrichtungen. Die in der nachfolgenden Abbildung durch Striche verbundenen Merkmale ergeben den Begriff der jeweils unten genannten Handlungsform.
Handlungsformen zur Herbeiführung einer generell-abstrakten Regelung
Um einen Sachverhalt generell-abstrakt zu regeln, stehen der Verwaltung u. a. die Handlungsformen „Gesetz“, „Rechtsverordnung“ und auch „Satzung“ zur Verfügung, siehe auch die nachfolgende Abbildung.
Abstrakt-generelle Rechtsakte (formelle/ materielle Gesetze)
Handlungsform: Verwaltungsvorschrift
Um eine Regelung als Norm zu konkretisieren, interpretieren oder eine normvertretende Regelung herbeizuführen, steht der Verwaltung der Erlass von „Verwaltungsvorschriften“ als Handlungsform zur Verfügung, siehe auch die nachfolgende Abbildung. Organinterne oder interorgane Reglungen in Form einer Geschäftsordnung fallen ebenfalls in diese Kategorie.(Vgl. Maurer/Waldhoff: Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage, C.H.Beck (2017), München, Seite 680 ff)
Beispiele:
- Normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift bzgl. Tatbestandsseite: § 48 BImSchG ermächtigt, z. B. die Bundesregierung zum Erlass von Verwaltungsvorschriften, um den Begriff „schädliche Umwelteinwirkung“ näher zu bestimmen. Zu diesem Zweck werden dann durch Verwaltungsvorschrift die Grenzwerte für verschiedene Immissionen festgesetzt (TA Luft, TA Lärm).
- Norminterpretierende Verwaltungsvorschrift: Steuerrichtlinien
- Normvertretende Verwaltungsvorschrift: Subventionsrichtlinien über die Vergabe der im Haushaltsplan ausgewiesenen und zweckgebundenen Subventionsmittel bei Fehlen einer (materiell) gesetzlichen Regelung.
Abstrakt-generelle Rechtsakte (keine Gesetze)
Handlungsform: Verwaltungsakt
Die dominierende Handlungsform der Verwaltung ist der „Verwaltungsakt“. Für die Einordnung einer Verwaltungshandlung als Verwaltungsakt müssen alle der nachfolgenden Merkmale erfüllt sein (Vgl. Peine: Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Auflage, C.F.Müller (2014), Heidelberg, S. 95):
Merkmal | Zuordnung | Aussonderung/Abgrenzung |
---|---|---|
Behörde | alle Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden; Organe der Körperschaften; Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts; Beliehene; Verfassungsorgane, wenn sie Verwaltungsaufgaben wahrnehmen | Verwaltungsorgane bei der Wahrnehmung verfassungsrechtlicher Aufgaben; unselbstständige Stellen der Verwaltung |
Hoheitliche Maßnahme | Jede verwaltungsrechtliche Willenserklärung; diese besteht aus Willensbildung und Willensäußerung | Tathandlungen; Unterlassungen; Schweigen; geschäftsähnliche Handlungen |
Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts | das Verwaltungsrecht „umsetzende“ Maßnahmen | Maßnahmen, die das Völker-, Europa- oder Staatsrecht im formellen Sinn „umsetzen“ |
Regelung | Verwaltungsrechtliche Willenserklä-rung, die einseitig, rechtsverbindlich und rechtsfolgend festlegend einen Lebenssachverhalt ordnet | Maßnahmen ohne verfügenden Teil; Vorbereitungs- und Teilakte; Aufrechnung; Fristsetzung; Stundung |
Einzelfall | Bestimmte oder bestimmbare Zahl der Adressaten einer hoheitlichen Maß-nahme – Konkretheit der Regelung entscheidend | Abstrakt-generelle Rechtsnormen; jede Maßnahme, die in einem Normsetzungsverfahren erlassen wurde, auch wenn sie materiell einen Einzelfall betrifft. |
Außenwirkung | Regelung wirkt außerhalb der Behörde – betrifft alle natürlichen und juristischen Personen, die sich zur Behörde in einem „allgemeinen“ hältnis befinden | Innerdienstliche Weisung; beamtenrechtliche Umsetzung; der „Normalfall“ der behördlichen Zustimmung zu anderen behördlichen Entscheidungen |
Ein begünstigender Verwaltungsakt ist mangels Beschwer nicht angreifbar bzw. anfechtbar und wird deshalb zum Zeitpunkt der Bekanntgabe [formell] bestandskräftig. Bei belastenden Verwaltungsakten hingegen tritt die Bestandskraft erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist ein bzw. nach einem gerichtlichen Verfahren. Bleibt bei einem begünstigenden Verwaltungsakt die Begünstigung hinter den Ansprüchen des Antragstellers zurück, handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung, sprich der Empfänger wird gleichzeitig sowohl begünstigt als auch belastet. Eine weitere Konstellation sind die Verwaltungsakte mit Drittwirkung, d. h. die Begünstigung tritt beim Empfänger ein, die Belastung bei anderen Personen [Dritten]. Für jede Konstellation gibt es entsprechende Modellierungskonventionen und ggf. Prozessmuster. Die Klassifizierung eines Verwaltungsaktes in „befehlend“, „feststellend“ und „rechtsgestaltend“ hat hingegen Einfluss auf mögliche Nachfolger im Prozessnetz. Ein befehlender Verwaltungsakt ist z. B. im Vergleich zum feststellenden Verwaltungsakt vollstreckungsfähig und hat somit die Vollstreckung als möglichen Nachfolger im Prozessnetz. In der nachfolgenden Abbildung werden die unterschiedlichen operativen Ziele von befehlenden, feststellenden und rechtsgestaltenden Verwaltungsakten veranschaulicht.
Beispiele für befehlende Verwaltungsakte sind:
- Gebote und Verbote (Versammlungsverbot nach § 15 I VersG, Gewerbeuntersagung nach § 35 GewO),
- alle Polizeiverfügungen,
- Gebührenbescheid. Beispiele für rechtsgestaltende Verwaltungsakte sind:
- Einbürgerung,
- Immatrikulation,
- Beamtenernennung,
- Erlaubnisse und Ausnahmegenehmigungen (-bewilligungen). Beispiele für feststellende Verwaltungsakte sind:
- Feststellung, dass eine Person die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt,
- Feststellung bestimmter Geldleistungspflichten bzw. -ansprüche (Beihilfen, Stipendien, Subventionen) bzw. Leistungsbescheide (BAFöG, Wohngeld…),
- Festsetzung des Besoldungsdienstalters,
- Spezialfall: beurkundende Verwaltungsakte (Eintragung eines alten Wasserrechts nach § 30 WHG in das Wasserbuch). Des Weiteren ist für die Bildung von Prozessklassen zu unterscheiden zwischen
- einem einstufigen Verwaltungsakt,
- einem mehrstufigen Verwaltungsakt (z. B. Zustimmung, Einvernehmen) und
- einer mehrstufigen Verwaltungsentscheidung (z. B. Teilgenehmigung, Vorbescheid) mitunter auch in Kombination mit
- einem vorläufigen Verwaltungsakt beziehungsweise
- einer Zusicherung. Bei einem einstufigen Verwaltungsakt ist nur eine Behörde für seinen Erlass zuständig. Der einstufige Verwaltungsakt wird über genau eine Prozessklasse abgebildet. Bei einem mehrstufigen Verwaltungsakt hingegen wirken mehrere Behörden bei seinem Erlass zusammen. Dennoch wird auch dieser nur über eine Prozessklasse abgebildet. Ein Zuschnitt nach Behörden ist zu vermeiden. Beispiele sind (Vgl. Peine: Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Auflage, C.F.Müller (2014), Heidelberg, S. 106 ff):
- § 9 (2) S. 1 BFSTrG: „Im Übrigen bedürfen Baugenehmigungen oder nach anderen Vorschriften notwendige Genehmigungen der Zustimmung der obersten Landestraßenbaubehörde, […]“,
- § 36 (1) S. 1 BauGB: „Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31 …. wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden“ Eine mehrstufige Verwaltungsentscheidung hingegen kann nacheinander geordnete Teilgenehmigungen oder Vorbescheide beinhalten, die jeweils die o.g. Merkmale von Verwaltungsakten erfüllen und somit separate Verwaltungsakte darstellen. Diese sind demzufolge als eigenständige Prozessklassen im Prozesskatalog anzulegen.
- § 59 (1) BbgBO: „Vor Einreichung des Bauantrages kann die Bauaufsichtsbehörde einzelne … Fragen zu einem Bauvorhaben durch schriftlichen Vorbescheid beantworten.“ Zudem werden auch vorläufige Verwaltungsakte bzw. Verwaltungsakte unter Vorbehalt als separate Prozesse betrachtet. Der endgültige Bescheid (Endbescheid) darf vom vorläufigen Bescheid nur insofern abweichen, als es gerade um die im Vorbehalt genannten Gründe geht. Der abweichend Endbescheid ersetzt „einfach“ den vorläufigen Bescheid, d. h. der vorläufige Bescheid muss nicht extra aufgehoben (zurückgenommen) werden. Die Rechtsnatur des vorläufigen Verwaltungsakts ist umstritten; Zulässigkeitsvoraussetzungen sollten vorhanden sein. Beispiele sind(Vgl. Maurer/Waldhoff: Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Auflage, C.H.Beck (2017), München, Seite 250 ff):
- Die Leistungsbewilligung ergeht vorbehaltlich des Ergebnisses der noch durchzuführenden Betriebsprüfung § 165 AO: Vorläufige Steuerfestsetzung Weiterhin gibt es das Konstrukt der Zusicherung gemäß § 38 VwVfG. Die Zusicherung ist eine Zusage, die sich auf den Erlass / Nichterlass eines Verwaltungsaktes bezieht. Sie ist eine endgültige Entscheidung un-ter dem Vorbehalt der gleichen Sach- und Rechtslage, obwohl die Sachverhaltsermittlung noch nicht voll-umfänglich abgeschlossen ist. Auch hier ist die Rechtsnatur umstritten; zunehmend wird jedoch die Zusi-cherung als Verwaltungsakt gewertet8, so dass ihre Erteilung als separate Prozessklasse erfasst werden sollte. Beispiel:
- StAR-VwV Nr. 8.1.2.6.1 Einbürgerungszusicherung: Soweit dies zur Aufgabe der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlich ist, ist dem Einbürgerungsbewerber eine schriftliche Einbürgerungszusicherung (vergleiche § 38 des Verwaltungsverfahrensgesetzes) zu erteilen. Durch sie wird ihm die Einbürgerung für den Fall zugesagt, dass er die Aufgabe seiner Staatsangehörigkeit nachweist. In der Regel ist der Einbürgerungszusicherung auf zwei Jahre zu befristen. Die Verlängerung der Frist ist zulässig. Die Einbürgerungszusicherung wird unter dem Vorbehalt erteilt, dass sich die für die Einbürgerung maßgebliche Sach- oder Rechtslage bis zum Ablauf der Frist nicht ändert.
- Bescheinigungsrichtlinien zur Anwendung der §§ 7h, 10f und § 11a des Einkommensteuergesetzes (EStG): Um den Eigentümern frühzeitig Klarheit über den Inhalt der zu erwartenden Bescheinigung zu geben, kann die Bescheinigungsbehörde bereits eine schriftliche Zusicherung nach § 38 VwVfG über die zu erwartende Bescheinigung geben. Die dabei zugrunde gelegten Voraussetzungen sind eindeutig darzustellen. Die schriftliche Zusicherung hat den Hinweis zu enthalten, dass allein die zuständige Finanzbehörde prüft, ob steuerlich begünstigte Anschaffungs-, Herstellungs- oder Erhaltungskosten im Sinne der §§ 7h, 10f und 11a EStG oder hiernach nicht begünstigte andere Kosten vorliegen.
Handlungsform: Öffentlich-Rechtliche Vertrag
Neben dem Verwaltungsakt ist der „öffentlich-rechtliche Vertrag“ eine weitere mögliche Handlungsform der Verwaltung. Ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne §§ 54 ff. VwVfG ist ein Vertrag, durch den ein Rechtsverhältnis auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts begründet, geändert oder aufgehoben wird. Aus dem Kontext der §§ 54 ff. VwVfG, insbesondere aus den §§ 1 und 9 VwVfG ergibt sich, dass das Ge-setz nur den verwaltungsrechtlichen Vertrag regelt, d.h. den öffentlich-rechtlichen Vertrag, an dem zumindest eine Behörde beteiligt ist. Hier wird zunächst auf den verwaltungsrechtlichen Vertrag abgestellt. Sollten in Zukunft im Prozesskatalog Verwaltungsprozesse geführt werden, die andere öffentlich-rechtliche Verträge (z. B. den völkerrechtlichen oder verfassungsrechtlichen Vertrag) adressieren, müssen die Codelisten entsprechend ergänzt werden. Nach § 54 S. 2 VwVfG kann der öffentlich-rechtliche Vertrag insbesondere anstelle des Erlasses eines Ver-waltungsaktes geschlossen werden. In diesem Zusammenhang verfolgt er das gleiche operative Ziel, wie ein Verwaltungsakt. Er kommt aber ebenso wie ein privatrechtlicher Vertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen zustande. Allerdings besteht zwischen den Vertragspartnern ein Über-Unter-Ordnungsverhältnis, da es sich auf der einen Seite um Hoheitsträger und auf der anderen Seite um Privatpersonen handelt (Subordinationsrechtliche Verträge). Nach § 54 S. 1 VwVfG können öffentlich-rechtliche Verträge auch zwischen gleichgeordneten Rechtsträgern, i. d. R. also zwischen Hoheitsträgern geschlossen werden (Koordinationsrechtliche Verträge).
Konkrete Rechtsakte (mehrseitig)
Handlungsform: Realakt
Während der Verwaltungsakt und der öffentlich-rechtliche Vertrag auf eine Rechtsfolge abzielen, sind „Realakte“ auf den tatsächlichen Erfolg gerichtet. In der nachfolgenden Abbildung werden unterschiedliche operative Zielstellungen für die Realakte aufgeführt.
Handlungsformen zur Kontrolle des Verwaltungshandelns
Um die Rechtsmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Arbeit der Verwaltung zu gewährleisten, stehen die in der nachfolgenden Abbildung veranschaulichten Handlungsformen zur Verfügung.
Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit
Privatrechtliche Handlungsformen bzw. Mischformen
Neben den öffentlich-rechtlichen Handlungsformen kann die Verwaltung auch durch privatrechtliche Handlungsformen bzw. Mischformen agieren, siehe auch die nachfolgende Abbildung.